Es liegt nahe, dass Hypothesen zur Begründung des Syndroms wenig untersucht werden konnten, da die Schwerelosigkeit zur Gewinnung von Daten aufwendig hergestellt werden muss. Die Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie und die Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Düsseldorf haben durch Untersuchungen während Parabelflügen, die zu wissenschaftlichen Zwecken von der Deutschen Gesellschaft für Luft und Raumfahrt (DLR) organisiert werden, einige zentrale Hypothesen überprüft.
Die vorliegenden Daten zeigen, dass selbst kurze Zeiten der Mikrogravitation (nahezu Schwerelosigkeit) zu einer venösen Stauung, erweiterten Netzhautvenen, erhöhtem Augeninnendruck und Veränderungen des diastolischen Blutdrucks führt. Im Gegensatz zur Erweiterung der Netzhautvenen sind die arteriellen Netzhautdurchmesser in der Mikrogravitation reduziert, was auf eine schwerkraftabhängige Regulierung der arteriellen und venösen Gefäße hinweist. In Anbetracht früherer Untersuchungen könnte ein verminderter venöser Rückfluss zum Herzen der zugrundeliegende hämodynamische Mechanismus sein. Dieser Effekt könnte auch die Entstehung von SANS vermitteln und eröffnet die Möglichkeit, Gegenmaßnahmen zu testen.
Im Einzelnen werden folgende Effekte beschrieben: Die Venendurchmesser in der Netzhaut sind in der Schwerelosigkeit (Mikrogravitation) vergrößert und in beiden Phasen der doppelten Schwerkraft (Hypergravitation) im Parabelflug reduziert. Im Gegensatz dazu sind die Durchmesser der Netzhautarterien in beiden Zuständen der Hypergravitation erhöht und während der Mikrogravitation verringert.
Der Augeninnendruck (IOD) steigt während der Schwerelosigkeit. Er ist in der ersten Phase der Hypergravitation geringer als während der Mikrogravitation. Außerdem sinkt der diastolische Blutdruck während der Mikrogravitation im Vergleich zur terrestrischen Schwerkraft und Hypergravitation und erhöht sich während der Hypergravitation im Vergleich zur terrestrischen Schwerkraft. Keine Unterschiede in den Veränderungen des systolischen Blutdrucks wurden zwischen den verschiedenen unterschiedlichen Schwerkraftbedingungen festgestellt.
Weitere detaillierte Untersuchungen seien erforderlich, so die Autoren. Sie müssten zum Beispiel klären, ob Gegenmaßnahmen die Belastung durch hämodynamische Veränderungen während unterschiedlicher Schwerkraftbedingungen verringern können. Dynamische Gefäßanalysemessungen in Kombination mit der Auswertung des Augeninnendrucks unter realen Raumfahrtbedingungen wäre ein wünschenswerter Schritt zur Beantwortung dieser Frage.
Die Teams des Universitätsklinikums Düsseldorf arbeiten bereits zusammen mit dem DLR an einem Folgeprojekt mit dem Zieldie physiologische Regulation besser zu verstehen und die Raumfahrt in Zukunft sicherer zu gestalten.
Originalpublikation:
Stephan Binneboessel, Norbert Gerdes, Michael Baertschi, Sema Kaya, Gerd Geerling, Malte Kelm, Christian Jung; Changes in Ocular Perfusion and Pressure Changes in Gravitaional Alteration Contribute to Spaceflight-Associated Neuro-Ocular Syndrome; Arterioscler Thromb Vasc Biol. 2024;44:00–00. DOI: 10.1161/ATVBAHA.124.320720